Architektur und Gesundheit
Healing Architecture – genesungsfördernde Architektur
Besondere Gestaltungsprinzipien können die Genesung fördern: Das ist der Grundgedanke des Forschungsansatzes „Healing Architecture“, der sich mit dem Einfluss von Architektur auf die Gesundheit befasst. Wir stellen die wesentlichen Aspekte vor.
Die gebaute Umwelt, die uns umgibt, hat Einfluss auf das psychische und physische Wohlbefinden des Menschen – dieser Grundgedanke steht hinter dem Forschungsansatz „Healing Architecture“, dessen Begriff sich an den Ausdruck „Healing Environment“ aus der Umweltpsychologie anlehnt. Aktuelle Forschungsprojekte versuchen, eine genesungsfördernde Atmosphäre wissenschaftlich zu ergründen und gestalterisch umzusetzen. Die aus den USA stammende Methode „Healing Environment“ soll die Umgebungs- und Raumqualität in Kliniken und Versorgungseinrichtungen verbessern – analog zur „evidence-based-medicine“. Diese bezeichnet die an individuelle Bedürfnisse angepasste Behandlung von Patienten anhand empirisch nachgewiesener Wirksamkeit. Auch in Europa gewinnt das Konzept an Bedeutung. „Healing Architecture“ setzt sich mit den Gestaltungsprinzipien von gebauter Umwelt und ihrer Auswirkung auf die Verarbeitung von Krankheit anhand zentraler Fragen auseinander:
- Wie kann Architektur zur Heilung beitragen?
- Welchen Einfluss nimmt die gebaute und unbebaute Umwelt auf die Wahrnehmung des gesunden Menschen?
- Wie trägt ein positives Umfeld zum Erhalt der Gesundheit bei?
Studien belegen: bauliches Umfeld beeinflusst Heilungsprozess
Dass das bauliche Umfeld den Heilungsprozess des Patienten beeinflussen kann, davon sind auch die Wissenschaftler an der TU Berlin, Forschungsschwerpunkt Healing Architecture, überzeugt. Die Forscher verfolgen seit einigen Jahren, ob und wann entsprechende bauliche Konzepte helfen, die Erholungs- bzw. Gesundungsrate zu steigern. Bisher existieren weltweit etwa tausend Studien, die belegen können, dass die Patienten, deren Therapie in einer angenehmen Umgebung erfolgt, weniger Medikamente benötigen, weil sie weniger Stress erleben. Bereits 1984 schrieb der texanische Architekturprofessor Roger Ulrich in einer Fachpublikation: „Der Blick durch ein Fenster kann die Regeneration nach einem chirurgischen Eingriff beeinflussen.“ Ulrich beobachtete dafür zwei Patientengruppen. Eine Gruppe kurierte ihre postoperativen Wunden in Patientenzimmern mit Blick auf ein anderes Gebäude. Eine zweite Gruppe erlebte die Rekonvaleszenz mit Blick auf attraktives Grün. Das Ergebnis war eindeutig: Der Klinikaufenthalt der zweiten Gruppe verkürzte sich deutlich, ihre Teilnehmer durchlebten weniger Komplikationen, nahmen weniger Schmerzmittel ein und litten seltener unter negativen Stimmungen.
So oft wie möglich Sichtbezüge zum Außenraum
Attraktive Blickbezüge, viel Licht, eine überlegte Farb- und Materialgestaltung und ein behagliches Raumklima sind die Bausteine einer Krankenhausplanung nach „Healing Architecture“. Als Gestaltungsträger dafür kommen vor allem Glasfassaden, aber auch besonders gestaltete Wände, Decken und Fußböden in Frage. Besonders der Ausgestaltung von Bereichen in Krankenhäusern und Therapiestätten, in denen Patienten länger verweilen und Unsicherheit und Angst empfinden können, wird entsprechend der Erkenntnisse inzwischen viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Krankenhausflure werden heller ausgeleuchtet, ihre Länge optisch verkürzt und Engstellen über eine entsprechende Lichtführung, großzügige Fenster oder transparente Wände erweitert. Empfang, Foyer und Wartebereiche nehmen eine Art Loungecharakter an und das Patientenzimmer wird mit anregenden Gestaltungsdetails konzipiert. Wo immer möglich, werden in allen Bereichen Sichtbezüge zum im besten Fall attraktiven, grünen Außenraum genutzt. Dabei sollte der natürliche jahreszeitliche und tagesindividuelle Lichteinfall als Beleuchtungsgrundlage aller Räumlichkeiten dienen und deren Ausleuchtung lediglich je nach Situation durch Zuschaltung von künstlichen Lichtquellen optimiert werden. Auch geeignete Sonnenschutzsysteme sind elementar, um Menschen und Medizintechnik vor direkter Sonneneinstrahlung und Hitze zu schützen. Außerdem entsteht je nach Nutzung der Räumlichkeiten die Notwendigkeit der Verdunkelung, Sichtschutz für die Privatsphäre teilweise in Kombination mit Laser-, Röntgen- und Brandschutz.
Licht und Kunst zur Gesundheitsförderung
Medizinische Einrichtungen sind heute mehr als nur Zweckbauten. Ganzheitliche Konzepte tragen zur Förderung des Wohlbefindens der Patienten bei und berühren auch den Baustoff Glas. Großzügige Formate schaffen ein helles und freundliches Ambiente, das sich positiv auf die Genesung auswirken kann. „Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern Wohlbefinden. Nach dieser These sollten Architekten Häuser errichten”, sagt Alan Dilani, Gründer der International Academy for Design and Health. Zu seiner Vorstellung von einem gesundheitsfördernden Ambiente gehören ein lichtdurchfluteter Eingangsbereich, grüne Flächen, Wasserelemente, Orientierungshilfen durch Farben bzw. in den Boden eingelassene Wegweiser – oder auch Kunst. „Ist die Zimmerdecke in einem Aufwachraum hübsch bemalt, können sogar Schmerzen der hier liegenden Patienten gelindert werden”, so Dilani. Auch der österreichische Architekt Albert Wimmer hat das verinnerlicht und geht sogar so weit, das Wort „Krankenhaus” möglichst zu vermeiden, indem er von „Gesundheitsquartieren“ spricht.
Wahl des Materials macht den Unterschied
Im Zentrum der „Healing Architecture“ stehen jedoch nicht nur die Patienten: Auch für das Personal wirkt sich eine hohe Aufenthaltsqualität positiv aus. An die Mitarbeiter im Gesundheitswesen werden hohe Ansprüche gestellt – sowohl physisch als auch psychisch ist der Druck hoch, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Vor diesem Hintergrund ist ein ansprechendes Arbeitsumfeld für Ärzte und Pflegepersonal zentral, um ihnen die Arbeit angenehmer zu gestalten und sie an die Häuser zu binden bzw. neue Mitarbeiter zu gewinnen. Dabei ist auch die Wahl der Baumaterialien entscheidend, die beim Neubau oder der Sanierung eingesetzt werden. Denn diese können den entscheidenden Unterschied machen.
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