Von transluzentem Holz, Ziegel aus Pilzen und Bio-Kompositen
Neue Werkstoffe für nachhaltiges Bauen
Nachhaltig bauen bedeutet, vorausschauend und verantwortungsbewusst mit den Ressourcen der Erde umzugehen. Neue Werkstoffe für nachhaltiges Bauen sind – neben vielen anderen – ein Faktor, um den bei der Herstellung klassischer Baustoffe entstehenden hohen CO2-Fußabdruck zu senken. Ein nicht repräsentatives Streiflicht in die Welt des Forschens an alternativen Bauwerkstoffen.
Die für den Bau von Gebäuden notwendigen Baustoffe zu produzieren, ist energieintensiv. Beispiel Beton: Das Gemisch aus den Rohstoffen Zement (Kalkstein und Ton), Gesteinskörnung (Sand oder Kies) und Wasser ist zwar in weiterem Sinne ein Naturprodukt. Allerdings ist die Herstellung von Zement wegen der benötigten hohen Hitze für rund acht Prozent aller weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Zudem gehören Sand und Wasser zu den knapper werdenden Rohstoffen, die Ökobilanz fällt dementsprechend schlecht aus. Um gegenzusteuern, entwickelt die Betonindustrie seit mehreren Jahren „ökologischen“ Beton mit einem hohen Anteil an Recyclingmaterial, Nutzung von Ökostrom und Recyclingwasser bei der Herstellung, Zero Waste bei Deponieabfällen und vieles mehr. Für Stahlbeton gibt es bereits vielversprechende Substitute von Stahl: Schon seit Jahren wird dieser durch eine Bewehrung aus Glas-, Carbon- und/oder Kunststofffasern ersetzt. Der neueste Schritt ist Textilbeton aus Bambus-, Flachs-, Hanf- oder Sisalfasern, mit denen die für Stahlbeton charakteristischen sehr hohen Zugfestigkeitswerte erreicht werden. Die Naturfasern bieten ähnliche Eigenschaften wie Glasfasern, sind jedoch duktiler und fast CO2-neutral.
Wird Holz das neue Glas?
Vor vergleichbaren Fragen steht die Glasindustrie: Zwar lässt sich der Anteil an Recyclingglas weiter erhöhen (siehe Artikel „Mehr Scherben für geringere Emissionen“) und es laufen bereits Forschungen, ob Wasserstoff in regenerativen Glasschmelzwannen das aktuell benötigte fossile und teure Erdgas langfristig als Energieträger ablösen kann. Dennoch wird Flachglas weiterhin im Wesentlichen aus den Rohstoffen Quarzsand, Kalk und Soda bestehen – aus knapper werdenden Rohstoffen. Kann also Glas aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden? Im Jahr 2016 präsentierten Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) Schweden transparentes Holz, das natürliches Licht durchlässt und sogar Wärmeenergie speichern kann. Die markante Überschrift der Verlautbarung im März 2016: „Wooden windows? New material could replace glass in solar cells and buildings.“ Der Schlüssel zur Umwandlung von Holz in einen transparenten Verbundwerkstoff liegt in der Entfernung von Lignin, dem wichtigsten lichtabsorbierenden Bestandteil des Holzes. Die leeren Poren, die durch das Fehlen des Lignins zurückbleiben, müssen jedoch mit etwas gefüllt werden, das die Festigkeit des Holzes wiederherstellt und das Licht durchlässt. In ersten Versionen des Verbundstoffs verwendeten die Forscher am Wallenberg Wood Science Center der KTH Polymere auf fossiler Basis. Im Jahr 2021 haben die Forscher erfolgreich eine umweltfreundliche Alternative getestet: Limonenacrylat, ein aus Limonen hergestelltes Monomer. Sie berichten über ihre Ergebnisse in Advanced Science: „Das neue Limonenacrylat wird aus erneuerbaren Zitrusfrüchten hergestellt, z. B. aus Schalenabfällen, die von der Orangensaftindustrie recycelt werden können”, erklärt die Hauptautorin, Doktorandin Céline Montanari. Ob es den Forschern gelingt, mit diesem Biokomposit-Baustoff nicht nur transluzentes, sondern transparentes „Fensterglas“ herzustellen, bleibt spannend. Wer sich vertiefend informieren möchte, findet hier einen Fachbeitrag (englisch).
Nachwachsende Rohstoffe in Form von Biokompositen
Lösungen auf dem Weg zur CO2-Neutralität können in vielen Bereichen nachwachsende Rohstoffe bieten, die anstelle von „klassischen“ Baumaterialien genutzt werden. Dazu zählen Holz, Jute, Flachs und Hanf, verstärkt auch Lehm, Kork und Bambus, sowie Biokomposite – auch Bioverbundwerkstoffe genannt. Letztere bestehen aus den natürlichen Rohstoffen Naturfasern und Harz, gewonnen zum einen aus landwirtschaftlichen Reststoffen wie Strohfasern, Grasfasern oder Schnittresten, zum anderen aus industriellen Naturfasern. Ein großer Vorteil von Biokompositen gegenüber „klassischen“ Werkstoffen ist: Pflanzen wie Flachs, Hanf und Bambus wachsen schnell. Dadurch wird bereits im Wachstumsjahr CO2 gebunden und erst nach der Nutzung der Materialien wieder an die Atmosphäre abgegeben. Wird dieser Baustoff in Zukunft großflächig eingesetzt, reduziert das die direkten Auswirkungen auf die globale Erwärmung. Einen ausführlichen Beitrag zum Thema Bio-Komposite lesen Sie in der COME-INN.
Der BioMat-Forschungspavillon
Das Potenzial von Biokompositen zeigt zum Beispiel der innovative BioMat-Forschungspavillon in Stuttgart. Das im Rahmen einer Kooperation von Architekten und Tragwerkingenieuren der Technischen Universität Eindhoven und der Universität Stuttgart sowie rund 40 Architekturstudenten entstandene temporäre Bauwerk ist 3,6 Meter hoch und überspannt eine Fläche von 55 m². Die sehr leichten und gekrümmten Elemente der doppelschaligen Decke bestehen aus Platten mit Biokomposit-Kern. Diese verfügen über eine sehr hohe Steifigkeit und waren daher prädestiniert für die anspruchsvolle Konstruktion. Besonders nachhaltig: Durch das gewählte Design und das intelligente Verbindungssystem lassen sich die Elemente nach Nutzungsende erneut verwenden – zum Beispiel als Fassadenelemente. Ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft und eines geschlossenen Materialkreislaufs. Der Pavillon wurde von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR), dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie durch Fördermittel aus der Industrie finanziert.
Häuser aus „klassischem“ Holz und alternativen Holzarten
Neben den historischen Gebäuden gibt es bereits viele aktuelle Gebäude, die mit nachwachsenden Rohstoffen gebaut wurden und Vorbildcharakter haben: Die neue Unternehmenszentrale für die Bio-Marke Alnatura in Darmstadt ist eines von ihnen: Gebaut vor allem mit Holz sowie mit einem der ältesten Baustoffe der Menschheit: Lehm. Das im Februar 2019 fertiggestellte Studierendenwohnheim Gillies Hall an der Monash University ist Australiens derzeit größtes zertifiziertes Passivhaus, das mit Komponenten aus Brettsperrholz (CLT = Cross-Laminated Timber) konstruiert wurde. Im „Roots“, einem 18-stöckiges Holzbauhochhaus in der Hamburger HafenCity und damit Deutschlands derzeit höchstens Holzhochaus; werden in diesem Jahr 2022 5.500 m³ Konstruktionsholz verbaut. Das bedeutet für die Ökobilanz 4.600 t gebundenes CO2. Doch auch Holz aus heimischer Waldwirtschaft steht nicht unbegrenzt zur Verfügung, zudem sind die Holzpreise wegen der seit Jahren anhaltenden Trockenheit stark gestiegen. Der Fokus liegt daher immer stärker auf dem Anbau alternativer Baumarten, die als Baumaterial genutzt werden könnten. Das Forschungsprojekt „Kompetenzschwerpunkt biobasierte Produkte“ der Universität Bonn, der Alanus Hochschule und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg untersucht Baustoffe aus schnell nachwachsenden Rohstoffen. Im Fokus der Forschungsarbeit stehen das Riesenchinaschilf, eine anspruchsarme und schnell wachsende Schilfart, sowie der sehr schnell wachsende Blauglockenbaum. Im Rahmen des Projekts bauten die Bonner ein Mini-Haus, die „Workbox“, bei der Chinaschilf als sommerlicher Wärmeschutz, Dämmputz und für die Wandverkleidung genutzt wurden. Der Blauglockenbaum fand als Bauholz, Verkleidung, Bodenbelag und im Innenausbau Verwendung. Verputzt wurde das Mini-Haus mit Lehm.
Selbsttragende Strukturen aus Pilzmyzel
Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und an der ETH Zürich erforschen schon seit einigen Jahren den Einsatz von selbsttragenden Strukturen aus Pilzmyzelium und Bambus in der Architektur. Myzelium ist das Wurzelwerk von Pilzen, ein schnell wachsendes feines Geflecht aus fadenförmigen Zellen. Aus dem Wurzelwerk wachsen Bausteine, die sich zu selbsttragenden Strukturen aufeinanderschichten lassen und konventionelle Materialien wie Stahl und Beton ersetzen könnten. Bereits im Jahr 2017 auf der Seoul Biennale of Architecture and Urbanism präsentierten die Karlsruher und Schweizer Forscher einen „MycoTree“: Der „MycoTree“ ist eine Struktur aus Pilzmyzel und Bambus, deren Geometrie sie mit Methoden grafischer Statik in 3D optimiert und tragfähig gemacht haben – in der damaligen Form eine Weltneuheit. Ein Video zum „MycoTree“ sehen Sie hier.
Häuser aus Kork
Zwei medial beachtete Häuser aus Kork zeigen die Möglichkeiten und Grenzen dieses Naturstoffs: Beim „Korkenzieherhaus“ im Berliner Ortsteil Staaken aus dem Jahr 2018 wurden statt üblicher WDVS-Fassade Korkplatten als Dämmung auf eine tragende Holzrahmenkonstruktion montiert sowie die die Dachflächen mit Kork verkleidet. Das tragende Geschoss steht jedoch auf einem nahezu klassischen Betonsockel. Das „Cork House“ in Großbritannien, ein Prototyp der Architekten Matthew Barnett Howland und Dido Milne aus dem Jahr 2019, besteht aus 1.268 Korkblöcken, die ohne Verbindungsmittel oder Kleber zu einem tragenden Gehäuse aufgestapelt wurden. Ein Nachteil dieses Baustoffs wird im „Cork House“ offensichtlich: Das vom Trockenmauerwerksbau bekannte Kraggewölbe kann mit Kork nur in geringer Spannweite realisiert werden. Kork gilt vor allem als nachhaltig, weil es ein nachwachsender Stoff ist, es hat gute Dämmeigenschaften, ist langlebig und unempfindlich gegen Nässe. Zudem werden Korkblöcke aus Abfällen der Korkproduktion hergestellt.
Und in Zukunft?
Schon der kurze, nicht repräsentative Blick in die Forschungslandschaft für alternative Baumaterialien zeigt: Es tut sich etwas. Manches, wie das Bauen mit Holz und/oder Lehm, beruht auf traditionellen Techniken und Erkenntnissen und ist in den letzten Jahren wiederentdeckt und perfektioniert worden. Anderes, wie Bauteile aus Pilzen oder ligninfreiem Holz, Textilbeton, Schilf, Stroh, Seegras, Flachs, Hanf oder Schafwolle für die Wärmedämmung werden ständig weiterentwickelt und längst nicht mehr belächelt, sondern als ernstzunehmende Alternative für klassische Baustoffe gesehen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bauen mit alternativen Rohstoffen, wo immer es möglich ist, nicht Einzelfall bleibt, sondern die Regel wird. Potenzial gibt es ausreichend.